Es ist Freitag, der 19, August, dritter Tag der Gamesom, 23:48 Uhr. Hinter uns am XMG-Stand in Halle 6 läuft gerade eine dicke Party. Nicht schlecht: Freigetränke, ein DJ, der sein Handwerk gut versteht und mal abgesehen von einigen schlechten Tänzern ist die Stimmung hervorragend. Vor allem, seit wir zu siebt die Effect-Drink-Plünderer von unserem Stand, der direkt gegenüber aufgebaut wurde, vertrieben und auch die Raucher aus unseren Lounge-Sesseln ins Freie verbannt haben. Jetzt hat das Ganze hier fast schon ein wenig VIP-Feeling: schwarze Ledersessel mit Blick auf die Leinwand gegenüber, Musikbeschallung, lecker Getränke und vor allem noch einiges an Luft, um ausreichend atmen zu können. Luxus, während sich vor uns auf dem Gang die Leute auf die Füße treten, zu viel Bier schlürfen und kostenlose Kinderriegel einwerfen. So war das letztes Jahr, auf der Gamescom 2010 noch jeden Tag. Egal ob Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag: irgendwo war immer was los, irgendwo gab’s immer was zu feiern, für das die Gäste keinen Eintritt und schon gar keine Getränkepreise zahlen mussten. Dieses Jahr ist alles irgendwie anders. Anonymer. Voller. Ungemütlicher. Kurzum: Asozialer. Harte Worte für Europas größte Gaming-Messe, aber angebrachte. Und das sage ich als Journalistin, die bei Präsentationen, Goodies und Gesprächen sowieso noch bevorzugt wird. Heute, drei Tage nach Messestart, kann ich das erste Mal behaupten, dass die Gamescom in diesem Jahr Wort hält mit ihrem Motto: Celebrate the Games.
Bisher hingegen: herbe Enttäuschung. Kaum ein Publisher zeigt den Besuchern wirklich etwas Neues, wie schon im letzten Jahr stehen viele nur deshakb drei und mehr Stunden in der Warteschlange, um mit 10 Minuten Multiplayer oder 5 Minuten Trailer abgespeist zu werden. Lohnt sich das? Früher gab es für die wartenden Fans wenigstens noch ein bisschen Zuckerbrot in Form von T-Shirts, Schlüsselbändern, Postern… heute machen sich die Freaks auf gigantischen Bühnen zum Affen, um am Ende ein lächerliches Schweißband abzugreifen. Lohnt sich das? Und was ist eigentlich aus den rauschenden Partys geworden? Dienstag luden Grasshopper und Digital Reality in das Top of Cologne: tolle Aussicht, tolle Spiele. Aber um 22 Uhr war Schicht im Schacht. Donnerstag feierte Nordic Games im “Bootshaus”. Eine Location, die uns der Taxifahrer charmant als “ach, diese Drogenabsteige” anpries. Er sollte Recht behalten: schmuddelig, laut, eklige Drinks, unterste Schublade. Donnerstag feierte Wargaming.net am gleichen Ort. Trotz vorheriger Anmeldung erwartete uns eine einzige Katastrophe: Meterlange Schlangen noch bevor der Eingang überhaupt in Sichtweite war, Platzregen und Security-Leute, die alle 10 Minuten 5 von gefühlten 500 wartenden Leuten hereinließen. Wir sind umgekehrt, noch bevor wir Diskoluft schnuppern konnten. Vielleicht besser so.
Und heute? Der erste Tag, der sich wieder halbwegs nach Gamescom anfühlt. Eine traurige Bilanz, vor allem für Otto-Normal-Besucher. Letztere sind – das muss hier einfach mal gesagt werden – aber auch nicht unschuldig an ihrem Dilemma. Wer verschenkt denn gerne noch Goodies, wenn die Dreistigkeit der Leute kaum mehr zu überbieten ist? An unserem Stand werden im Minutentakt iPads manipuliert, statt sich in unserer Gamescom-App auszutoben; Drinks werden geklaut statt danach zu fragen; und statt sich mit einem Heft gratis zu begnügen, muss es gleich der halbe Heftständer sein. Leute, das ist einfach nur asozial! Aber genug der Meckerei! Ich bin mir sicher, die beiden stressigsten Tage stehen uns mit dem Samstag und dem Sonntag noch bevor. Und es gibt ja auch die Kehrseite der Medaille: richtig nette Typen, mit denen man sich stundenlang unterhalten kann, die über beide Ohren strahlen, wenn man ihnen ein Gratis-Heft in die Hand drückt und die sich freuen wie ein Schnitzel, wenn sie bei uns spielen und einen Energy-Drink genießen dürfen. Also: weiter geht’s! Eigentlich kann’s jetzt nur noch besser werden!